Erfreuliche Initiativen in der Suisse romande
Die Suisse romande ist von den Sparmassnahmen der grossen Medienkonzerne besonders stark betroffen. Und einmal mehr sieht sie sich durch die eidgenössischen Räte minorisiert, die unter dem Schlagwort «keine Staatsmedien», die nötigen Massnahmen zur Unterstützung der Medien abblocken. Nun regt sich Widerstand. Ein Kommentar von Daniel Rothenbühler.
Vor zwei Wochen fand in der «Maison Rousseau et Littérature» Genf eine Diskussionsveranstaltung zur Medienpolitik statt. «L’État doit-il financer les médias?», war die Frage: «Soll der Staat die Medien finanzieren?» .Dass das Literaturhaus dem Genfer Berufsverband der Journalist:innen den Ort zur Debatte über Medienpolitik bot, ist ein starkes Zeichen: Kultur- und Medienpolitik lassen sich nicht voneinander trennen, eine lebendige Medienlandschaft gehört zur Kultur eines Landes.
Das Schreckgespenst der «Staatsmedien»
Einmal mehr wurde einzelnen Vertreter:innen der etablierten Medien argumentiert, eine staatliche Unterstützung bedrohe die Unabhängigkeit der Medien. Doch das Schreckgespenst «Staatsmedien» konnte im Literaturhaus wenig Wirkung entfalten.
Hat denn etwa die Förderung des Kulturschaffens durch die öffentliche Hand zu einer «Staatskultur» geführt? Es zeugt von einer grossen Verachtung des heutigen rechtsstaatlichen Funktionierens von Gemeinden, Kantonen und Bund, wenn man eine mögliche staatlichen Medienförderung in der Schweiz mit der Gängelung der Medien in Obrigkeitsstaaten des 19. Jahrhunderts oder in heutigen illiberalen Regimes gleichsetzt.
Cécile Sourd, Geschäftsführerin der sehr staatskritischen französischen Internet-Zeitung Mediapart, erinnerte denn auch daran, dass Frankreich die staatliche Medienförderung seit Jahrzehnten kennt und die heutige Bedrohung der journalistische Freiheit im Gegenteil von Milliardären wie Bernard Arnauld, Vincent Bolloré und Patrick Drahi ausgeht, die zahlreiche Medienhäuser und -titel aufkaufen, um mehr politischen Einfluss zu gewinnen.
Der Waadtländer Nationalrat und Wirtschaftswissenschaftler Samuel Bendahan schlug dem gegenüber für die Schweiz eine grundsätzlich Neuregelung der Radio- und Fernsehgebühren vor, die auch zur Mitfinanzierung lokaler und regionaler Medien verwendet werden, und zugleich – wie die Steuern – auf die Einkommensverhältnisse der Haushalte und Betriebe Rücksicht nehmen.
Ein neuer Verfassungsartikel tut not
In der Waadt, dem Herkunftskanton Bendahans, sind im Oktober entsprechende Bemühungen zu einem grundsätzlichen Wandel der gesamtschweizerischen Medienpolitik in Gang gekommen. Unter dem Präsidium des ehemaligen waadtländische Ständerates Luc Recordon hat sich die Journalistenvereinigung «Nouvelle presse» konstituiert, die die Unterstützung von Qualität und Vielfalt der Medien in der Bundesverfassung verankern möchte. Am Mittwoch, 30. Oktober, stellte die Vereinigung ihre ersten Ideen zu einer Volksinitiative mit dieser Zielsetzung einer Versammlung von rund 20 Personen vor, darunter Verantwortliche aus dem Medienbereich und der Politik.
Denis Masmejan, Generalsekretär von «Reporter ohne Grenzen» und auf Medienrecht spezialisierter Journalist machte darauf aufmerksam, dass die Bundverfassung es dem Bund derzeit nicht ermöglicht, die gedruckte Presse direkt zu unterstützen. Die entsprechende Lücke sollte durch einen Artikel gefüllt werden, der nach dem Artikel 93 über Radio und Fernsehen eingefügt würde und auch Artikel 17 über die Pressefreiheit ergänzen könnte.
Neben der direkten Unterstützung sollte der neue Artikel auch die Förderung der Ausbildung von Journalist:innen und den Schutz vor Desinformation ermöglichen und die spezifischen Bedürfnisse der verschiedenen Sprachregionen berücksichtigen. Ein besonderes Gewicht wird schliesslich der Unterstützung technologischer Innovationen im journalistischen Bereich gegeben. Es gehe darum, die Jugend zu erreichen, die sich hauptsächlich über soziale Netzwerke informiere, deshalb verlange die Förderung der technologischen Innovation besondere Aufmerksamkeit, betonte Masmejan.
Eine Arbeitsgruppe wird diese Gesichtspunkte nun bündeln und konkretisieren und in den kommenden Monaten wieder an die Öffentlichkeit treten.
Vorschläge aus der Region Genf
Während die Waadt schon eine – wenn auch beschränkte – kantonale Medienförderung kennt, steht es damit in Genf noch sehr im Argen.
In Reaktion auf die massive Umstrukturierung der Westschweizer Titel von Tamedia hat die SP Genf deshalb Anfang November einen Gesetzesentwurf veröffentlicht, der auf Kantonsebene die Schaffung einer öffentlichen Stiftung zur Medienförderung fordert. Der Entwurf sieht die Unterstützung für die Gründung neuer Medien und die Finanzierung der Produktion von redaktionellen Inhalten vor. Die Zuschüsse würden für zwei Jahre gewährt und könnten verlängert werden. Die Stiftung soll über ein Kapital von 10 Millionen Franken verfügen und könnte durch zusätzliche Gelder der Gemeinden und des Privatsektors finanziert werden. Ein jährlicher staatlicher Zuschuss würde den Betrieb der Stiftung sicherstellen.
Mitte November hat die Tageszeitung «Le Courrier» dann eine Petition mit dem Titel «Appel pour la survie de la presse régionale» (Appell für das Überleben der Regionalpresse) lanciert, die sich an die gewählten Vertreter und politischen Parteien sowie an die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft richtet. Da «die Printmedien heute am Rande des Zusammenbruchs stehen», was das Recht der Bevölkerung auf Information beeinträchtigt, schlägt die Petition eine Reihe von Sofortmassnahmen vor.
Zwingend erforderlich sei für die Printmedien, «gleichzeitig ihr Wirtschaftsmodell, ihre journalistischen Praktiken und ihre Verbreitungskanäle zu erneuern». Die Petition fordert indirekte Hilfen (Vertriebshilfe, Kauf von Abonnements und Werbeflächen durch öffentliche Körperschaften), direkte Finanzierungsmechanismen, darunter die Unterstützung des digitalen Übergangs, sowie die Schaffung eines Rechtsrahmens, der die Tech-Giganten (GAFAM) dazu zwingt, für die von ihnen genutzten Presseinhalte zu zahlen (Urheberrecht und verwandte Schutzrechte) und eine weitere gesetzliche Grundlage für den Schutz von Journalisten und Verlegern vor missbräuchlichen Klagen, die darauf abzielen, ihre Nachforschungen durch Gerichtsverfahren zu entmutigen.
Dem Diktat der Big Tech begegnen
Es ist zu hoffen, dass diese von der Genferseeregion ausgehenden Initiativen für die anderen Regionen und die ganzen Schweiz bespielgebend werden. Das ist gerade auch für die Erhaltung des Kulturjournalismus in der Schweiz unabdingbar. Nicht nur die Mehrheit der Jugendlichen, auch immer mehr Erwachsene verlassen die traditionellen Medien und verlieren sich in den Blasen der sozialen Netzwerke. Für die Medien wird es immer schwieriger, mit einem durch Algorithmen der Big Tech gelenkten Publikum in Kontakt zu treten, und noch schwieriger, eine dauerhafte Verbindung zu ihm aufzubauen.
Die bisherigen Mehrheiten der eidgenössischen Räte sind entweder blind gegenüber der Gefahr einer Unterwerfung der politischen und kulturellen Öffentlichkeit der Schweiz unter das Diktat der multinationalen Tech-Giganten oder sie erhoffen sich, bei deren Geschäft mitzuhalten. Es braucht wie in anderen Bereichen vermehrte politische Initiativen von unten, um diesem Prozess zu begegnen.