Die Wut auf die Sparmassnahmen bei SRF wächst
Ein Kommentar von Felix Schneider.
SRF hat schon manche Sparrunde angekündigt, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen. Die jüngsten Sparmassnahmen aber lösten vergangene Woche eine noch immer anwachsende Welle von Entsetzen und Kritik aus. Dass das einzige Deutschschweizer Radio-Wissenschaftsmagazin gestrichen, und dass die mit 530 Stellenprozent eh schon kleine Wissenschaftsredaktion um einen Drittel verkleinert wird – das hat schockiert.
Renommierte Umweltwissenschaftler wie Erich Fischer (ETH Zürich) und Thomas Fröhlicher (Uni Bern) sind «entsetzt». Der eine hat erklärt, Wissenschaftsjournalismus sei eine Kernaufgabe der SRG und ihn zu reduzieren «schadet dem Forschungs- und Bildungsstandort Schweiz». Der andere sagte: «Gerade in der Klimadebatte ist sachliche Berichterstattung entscheidend, sonst gewinnen Fake News und Verschwörungstheorien noch mehr an Einfluss.» 20 Professoren richteten an SRG und SRF eine Petition, die am Tage nach ihrer Lancierung bereits 4‘000 Unterschriften trug.
Marko Kovićs Kommentar zur SRF-Sparrunde auf Nau.ch erhielt innert weniger Stunden über 200 Kommentare, die zum grossen Teil vor Aggressionen gegen die SRG nur so strotzen.
Die Wissenschaftsredaktion wehrt sich couragiert. Mehrere Redaktor:innen formulierten letzte Woche ihre Kritik an SRF auch in den «social media», doch ihre Posts waren schnell wieder verschwunden. Wie das?
Die Bajour-Redaktorin Michelle Isler hat nachgefragt und unter dem Titel «Maulkorb für SRF-Mitarbeitende?» die Antwort der SRF-Medienstelle publiziert. Sie lautet: «Kritik am Arbeitgeber soll intern angebracht werden, nicht in der Öffentlichkeit.» Die Antwort der Medienstelle resümierend, schreibt Redaktorin Isler weiter: «So habe es zwischen den Mitarbeitenden und den Vorgesetzten Gespräche gegeben, woraufhin die Angestellten entsprechende Posts in ihren privaten LinkedIn-Accounts gelöscht hätten.» Man kann sich gut vorstellen, wie nett diese «Gespräche» waren. Für SRF ging dieser Schuss allerdings nach hinten los. Statt Kritik abzuwürgen, lieferte das Medienhaus einen Einblick in seine autoritären Strukturen und löste eine neue Kritik- und Entsetzenswelle aus. Auf LinkedIn geht die Post ab: 15'000 haben das Wissenschaftsmagazin gehört, das über seine eigene Abschaffung berichtete, und es gibt Tausende von Kommentaren. Die intellektuell interessierte Minderheit meldet sich.
Kahlschlag in den Kulturredaktionen
Die Attacke auf den Wissenschaftsjournalismus ist indessen nur die Spitze des Eisbergs. Aus dem Programm gekippt werden in der gegenwärtigen Sparrunde auch das «People-Format» «G&G – Gesichter und Geschichten», das Wirtschaftsmagazin «Trend» und «Kontext», die einst einstündige Hintergrundsendung für Themen aus Kultur und Gesellschaft, die als Podcast auch beim jüngeren, gebildeten Publikum auf Zuspruch stösst. Die Mittel für fünf Musiksendungen werden gekürzt und auf SRF 1 wird das Hörspiel am Montag gestrichen.
Ganz besonders ist das Schicksal der Filmkritik. «Kino im Kopf» ist die einzige übrig gebliebene regelmässige Filmsendung der gesamten SRG. Sie geniesst beim filminteressierten Publikum auch in Deutschland Ansehen und ist sehr kosteneffizient, denn sie wird an verschiedenen Orten in der Regel fünf Mal gesendet und ist auch als Podcast verfügbar. Hilft alles nichts. «Kino im Kopf» wurde zuerst auf Eis gelegt, dann ganz gestrichen, was dem Publikum noch nicht einmal offen mitgeteilt wurde. Und die Einsparung? Exakt zwei Arbeitsstunden, soviel ist budgetiert und nicht mehr, denn die Sendung entsteht grösstenteils aus Kurzformen, die für andere Sendegefässe produziert wurden. Selbstverständlich wird auch die Filmredaktion drastisch reduziert.
Als Ersatz für all die Sendungen, die auf der Abschussliste stehen, soll täglich ein rund 25-minütiger Live-Talk zu Kunst, Literatur, Film, Musik und eventuell Gesellschaft mit festen Moderator:innen und jeweils einem Gast ausgestrahlt werden.
Fazit: Mit den Sparmassnahmen verfolgt die SRG derzeit eine Programmstrategie, die das eigenständige Kulturradio beseitigt. Kulturjournalist:innen dürfen gerade noch Kurzfutter für aktuelle Gefässe in Radio, Fernsehen und Internet, für andere Redaktionen also, produzieren.
Der Druck von aussen
Den Sparzwang hat die SRG nicht erfunden.
Ihre kommerziellen Einnahmen sind zurückgegangen (weniger Werbung z.B.).
Ihre Unkosten sind gestiegen (für IT, Cyber-Security oder Technologie z.B.).
Der Bundesrat hat den Teuerungsausgleich auf die Mediengebühren um die Hälfte reduziert.
Und SVP-Rösti hat entschieden, die Radio- und TV-Abgabe bis 2029 von heute 335 auf 300 Franken abzusenken und viele Zahler:innen von der Abgabe zu befreien.
Und dann wird das Volk ja den Rest der Entscheidungsbefugnis, den ihm Rösti noch lässt, wahrnehmen, d.h. es wird, wohl 2026, über die «Halbierungsinitiative» aus SVP-Kreisen, also über die Absenkung der Serafe-Gebühr auf 200 Franken, entscheiden.
Die SRG-Führung ist sicher, dass das Volk diese Gebührensenkung ablehnen wird. Liest man Volkes Stimme in den Kommentaren zu der laufenden Sparrunde, erscheint das aber keineswegs sicher.
Man muss sich klar machen, dass das Sparprojekt der SRG gigantisch ist. Im November letzten Jahres gab die SRG bekannt, sie müsse bis 2029 270 Millionen einsparen. Das entspricht einer Budgetreduktion von 17 Prozent und einem Abbau von schätzungsweise 1000 Vollzeitstellen. Was wir derzeit erleben, ist nur ein erster Schritt.
Quoten oder «gesellschaftliche Reichweite»?
Obwohl sie neuerdings gerne von «Wirkung» spricht, weigert sich die Führung von SRG und SRF hartnäckig anzuerkennen, was die Konzession eigentlich vorgibt, dass nämlich auch Sendungen, die nicht mit Einschaltquoten und Reichweiten brillieren, notwendig und relevant sein können.
Der Medienwissenschafter Mark Eisenegger sagte in der Diskussion um das Wissenschaftsmagazin: «Es geht auch darum, die opinion leaders mit Wissenschaftsjournalismus zu erreichen, die gesellschaftlich die Befunde weitertragen und so dann für gesellschaftliche Reichweite sorgen» Eine solche Äusserung wird der Tatsache, dass wir nicht in einer egalitären Gesellschaft leben, schon eher gerecht. Es gibt opinion leaders, es gibt Eliten, Politikerinnen, Intellektuelle, Wissenschafter, Künstlerinnen – und was sie denken, ist nicht gleichgültig, Medien müssen auch für sie da sein. Nicht nur für sie, beileibe nicht, aber auch. Demokratie braucht eine informierte Öffentlichkeit.
Die Chef:innen wiederholen immer wieder, lange Wortsendungen würden vom Publikum abgelehnt. Das «Nutzungsverhalten» der Hörer:innenschaft gilt als feste, unveränderliche Grösse. Rajan Autze, publizistischer Leiter der Abteilung Kultur behauptet, «dass wir aus Studien wissen, dass die Hörerschaft insgesamt eher kürzere Wortbeiträge schätzt als lange, grosse Formate». Und er beruft sich ebenfalls auf Befragungen, wenn er erklärt, dass die Hörer:innen wissenschaftliche Themen auf SRF 2 Kultur als fremd empfinden. In einem ausgezeichneten Beitrag des Wissenschaftsmagazins vom 8.2.25 hat die Redaktion das Ende ihrer eigenen Sendung thematisiert und dabei enthüllt, dass Autzes «Studien» und «Befragungen» auf einer Untersuchung der Aussagen von exakt 24 Personen beruhen. Interessanterweise ergab noch 2021 eine Studie der SRF-internen Hörerforschung, dass gerade gesellschaftliche und wissenschaftliche Themen vom Publikum erwartet werden.
Kein Zufall. Es geht um Voreinstellungen. Ein Kulturradio könnte ja auch auf ein junges Publikum fokussieren, das zahlreich ist und lange Podcasts liebt. Oder auf Menschen, die politische Debatten mögen. Es gibt sie. Der Herrgott hat viele Kostgänger. Der Sender «France Culture» macht’s vor: ein anspruchsvolles Programm, auch für eine Minderheit, aber mit Selbstbewusstsein, und mit Hörerzuwachs jedes Jahr, gerade bei den unter 35-Jährigen.
SRG verteidigen und kritisieren
Gegen die Aufregung, die jede Sparrunde auslösen kann, haben die Verantwortlichen Beruhigungspillen entwickelt. Sie versichern zum Beispiel: Wir streichen Sendungen und reduzieren das Personal, aber wir erhalten die Qualität und die Vielfalt des Programms. Als es vor vielen Jahren mit der Sparerei losging, war das sogar in geringem Umfang noch möglich. Heute ist das einfach nur Augenwischerei.
«Umlagerung» steht auf der Verpackung eines anderen Hausmittelchens. Wir killen die Hintergrundssendungen von Wissenschaft und Kultur, aber nur um die Inhalte in den Nachrichten und Magazinen wie 10vor10, Tagesschau, Echo der Zeit mit Kurzbeiträgen umso wirkungsvoller zu platzieren. Der Medienwissenschaftler Vinzenz Wyss weiss zu berichten, dass der Abbau des Wissenschaftsjournalismus in den privaten Medien seit Jahren von diesem Versprechen begleitet war, das sich aber nie erfüllt hat. Wie auch? Unter Sparvorgaben ist diese Behauptung ökonomischer Unsinn. Eine halbe Stunde Magazin mit vielen Beiträgen ist teurer als eine monothematische halbe Stunde, weil gewisse Arbeiten, etwa die Lektüre eines Buches oder die Aneignung eines Sachverhalts, einen bestimmten Aufwand ernötigen, egal ob sie für einen Dreiminüter oder eine halbe Sendestunde geleistet werden.
Der Qualitäts- und insbesondere der Kulturjournalismus steht bei der SRG von drei Seiten unter Druck. Die Leitung orientiert sich bedenkenlos an Quoten und Klicks. Die Rechte will die Öffentlichkeit so weit wie möglich privatisieren und den service public demontieren. Dem permanenten ARD-Bashing der NZZ liegt genau diese Absicht zu Grunde. Und im Volke gärt eine aggressive Wut auf die «Mainstreammedien». Der gemeinsame Nenner dieser drei aufklärungsfeindlichen Strömungen ist der Antiintellektualismus.
Es gilt, einen marktunabhängigen, öffentlichen, gesellschaftlich notwendigen und kritischen Journalismus vor der Privatisierung und vor dem Volkszorn zu retten. Die SRG muss gleichzeitig verteidigt und kritisiert werden. Ihre Journalistinnen und Journalisten müssen aus der eisernen Umklammerung der Apparatschiks befreit werden.
Felix Schneider ist pensionierter Redaktor von SRF 2 Kultur.
Jede Woche publiziert Cültür Texte von Gastautor:innen. Die Meinung der Gastautor:innen müssen sich nicht mit der Meinung der Redaktion decken.