Kahlschlag in Entwicklungs- und Kulturprojekten

Zu den Finanzierungsstopps der in den USA und in der Schweiz.

Stell dir vor, es ist Krieg, Krieg gegen die Armen, die Unterdrückten, die Verfolgten, und alle schauen zu.

Ein Horrorszenario, das schon vor dem Machtantritt Tumps befürchtet wurde und jetzt noch schneller als erwartet konkrete Formen annimmt. Trump und Musk versprechen ihrer Gefolgschaft, Staatsmacht und «Staatsterror» zu bekämpfen, und übernehmen die eine und vollziehen den anderen, um das komplexe Geflecht von Freiheits- und Schutzrechten zu zerschlagen, das nach dem 2. Weltkrieg in vielen Ländern mit dem Rechts- und Sozialstaat und weltweit mit den UNO-Organisationen und zahlreichen NGOs entwickelt wurde.

Millionenverluste bei den NGOs

Allein schon Trumps Beschluss, alle finanziellen Zuwendungen der USAID, der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit, für drei Monate auszusetzen, hat katastrophale Folgen für Entwicklungsprogramme auf der ganzen Welt und auch in der Schweiz. Schweizer NGOs, die mit USAID zusammenarbeiten, Terre des hommes, HEKS, Solidar Schweiz, Helvetas, Fastenopfer und Médecins du monde, werden am meisten betroffen sein. Die ersten Schätzungen der Verluste gehen bereits in die Millionen.

Terre des hommes
(Bild: Terre des hommes )

Terre des hommes zum Beispiel befürchtet ein Loch von 10 Millionen Dollar in neun Ländern mit 1,5 Millionen begünstigten Kindern; das HEKS (Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz) muss wohl drei vollständig von USAID unterstützte Projekte im Kongo, in der Ukraine und in Äthiopien für die Verteilung von Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Hygiene-Kits streichen und 100 Personen entlassen; Solidar meldet einen Verlust von 1,5 Millionen Franken und Helvetas befindet sich ebenfalls in Schwierigkeiten, vor allem mit ihrer Zweigstelle Helvetas USA, die zum Beispiel die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge in Moldawien unterstützt oder die Stärkung der Rolle von Frauen und jungen Angestellten im Nahrungsmittelsektor in Bangladesh oder jene von Kleinbauern in Kirgistan. 

Geschwächte Kulturpolitik der Schweiz

Die Entscheidung Trumps ist ein gezielter Schlag gegen multilaterale Entwicklungszusammenarbeit und stellt die NGOs der Schweiz vor die Frage, ob sie sich wieder vermehrt auf rein bilaterale Projekte konzentrieren müssen. Nun werden aber gerade auch bilaterale Projekte von Schweizer Hilfswerken von einer stramm rechten Mehrheit in den eidgenössischen Räten und im Bundeshaus dadurch bedroht, dass der DEZA, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, auf mittlere Frist einschneidende Sparmassnahmen aufgezwungen werden. 

Wie Trump und Musk scheinen auch einflussreiche Politiker:innen in der Schweiz Softpower für ein Ding von Schwächlingen und Care für eine der woken Vokabeln zu halten, die getilgt werden sollten. Nur treffen sie ihre Entscheidungen in helvetischer Tradition mit mehr Diskretion und Gemächlichkeit, so dass deren Drastik nicht so schnell ins Auge fällt wie jene der jetzigen US-Regierung.

Im letzten Dezember wurden im Budget 2025 die Zuwendungen für Entwicklungszusammenarbeit um 110 Millionen gekürzt, und für den Zeitraum 2026 bis 2028 sind Kürzungen von 321 Millionen beschlossen. Damit werden für die NGOs jetzt schon Budgetkürzungen von 8 bis 12 Prozent einher gehen, und manche werden ab 2028 gar nicht mehr handlungsfähig sein.

Dies zu einer Zeit, in der die Länder des Südens mehr denn je Hilfe benötigen, aufgrund andauernder Kriege, aber auch infolge der immer deutlicher sich abzeichnenden Auswirkungen des Klimawandels.

Zu wenig wurde bisher beachtet, dass diese Sparmassnahmen auch starke Rückwirkungen auf die Schweiz haben werden, gerade auch im Bereich des Kulturschaffens. Als erste Zeitung hat Le Temps in der Ausgabe vom 3. Februar auf diesen unterschätzten Aspekt aufmerksam gemacht. Im Editorial erinnert Stéphane Gobbo, der Kulturchef von Le Temps, an die humanitäre und zugleich interkulturelle Tradition von Genf, die 1863 mit der Gründung des Roten Kreuzes durch Henri Dunant begonnen hat. Vielleicht erklärt diese Tradition auch, warum die Medien in der Suisse romande etwas rascher und sensibler auf die Sparbeschlüsse in diesem Bereich zu reagieren scheinen als jene in der Deutschschweiz. 

Tatsächlich ist Genf ja nicht nur der Sitz von über hundert UNO-Organisationen, UNO-Fonds und weiteren Organisationen mit Fokus auf humanitäre Kooperation, Entwicklungsprogramme und Friedenssicherung. Die Stadt beherbergt auch das weltweit vernetzte Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung (IHEID), und die Stiftung Geneva Science and Diplomacy Anticipator (GESDA) bemüht sich im Auftrag des Bundesrates seit 2019 um einen dauerhaften Brückenschlag zwischen den Spitzenforscher:innen und den Akteuren des öffentlichen und privaten Sektors. Das Grundpostulat lautet, zukünftige technologische Durchbrüche zu antizipieren, um Diplomaten und politische Entscheidungsträger heute auf die Folgen von morgen vorzubereiten. Hierzu bietet auch die Gegenwart des CERN mit Spitzenkräften der physikalischen Grundlagenforschung, der Informatik und der Ingenieurwissenschaften besonders gute Voraussetzungen.

Wenn nur die Politiker:innen in Bern auch etwas mehr von diesen Bemühungen mitbekämen!  

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(Bild: DEZA)

Die einschneidenden Sparbeschlüsse einer offenbar völlig ignoranten Riege von Politiker:innen trüben jetzt schon das 50-Jahre-Jubiläum, das die DEZA 2026 feiern könnte.

Seit 1976 hat die DEZA Projekte im Kulturbereich in Asien, Afrika, im Nahen Osten und in Osteuropa gefördert, aber auch in der Schweiz, indem sie hier Institutionen und Initiativen unterstützte, die Kulturschaffende aus anderen Kontinenten für gemeinsame Projekte in die Schweiz einluden. 2024 standen für solche Einladungen noch 3,7 Millionen zur Verfügung, die einem Dutzend von Projekten und Kulturfonds zugutekamen: den Filmfestivals in Locarno, Freiburg (FIFF), Winterthur (Kurzfilme) und Nyon (Dokumentarfilm), dem Zürcher Theater Spektakel, dem Festival Culturescape in Basel, dem Salon africain des Salon du livre in Genf, dem Filmverleih trigon-film, dem Filmproduktionsfonds Visions Sud Est, dem internationalen SüdKulturFonds, dem  International Fund for Cultural Diversity der UNESCO und dem Verein artlink.

Protest der kulturellen Institutionen

Drei Tage nach dem Le Temps-Artikel haben die betroffenen Institutionen in einem Aufruf, der über Keystone SDA und die SRG-Medien verbreitet wurde, auf die katastrophalen Folgen dieser Sparbeschlüsse hingewiesen. Sie betonen zu Recht, dass die Zusammenarbeit der DEZA mit Kulturpartnern für relativ wenig Geld grosse Wirkung erzeugt. Dank den über Jahrzehnte hinweg entwickelten Netzwerken in den Bereichen Film, Literatur, Musik, visuelle Künste und Theater haben Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch einen erleichterten Zugang zur Schweizer Kulturszene erhalten.

Die Folgen der nun beschlossenen Einsparungen werden auch für die Schweizer Kulturschaffenden und ihr Publikum schwerwiegende Einbussen mit sich bringen. 

Im Artikel von Le Temps erklärt John Canciani, künstlerischer Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur, ausser der DEZA gebe es keine Institution, die künftig genügend Geld in die kulturelle Kooperation mit dem globalen Süden einspeisen könne. Die indische Filmerin Payal Kapadia zum Beispiel ist seit 2019 wesentlich aus der Schweiz gefördert worden, bevor sie im Frühling 2024 für ihren Spielfilm «We All Imagine as Light» den Grand Prix des Filmfestivals Cannes erhalten hat. Wären die vorgesehenen Einsparungen schon in den letzten fünf Jahren wirksam gewesen, hätte sie diesen Zugang zum europäischen Publikum weniger leicht gefunden. Nun soll der Fonds Visions Sud Est, der das ermöglicht hat, bis 2028 ganz verschwinden. Ein riesiger Verlust für die kulturellen Soft Power der Schweiz im globalen Süden.

Die politisch Verantwortlichen für diese absehbaren Rückschläge scheinen keine Ahnung von den kulturellen Realitäten zu haben. Eine Studie von Cinéforum von 2019 wies zum Beispiel nach, dass die Filmproduktion insgesamt 3,1 mal mehr einbringt, als sie kostet. Das sollte doch auch in diesen politischen Sparköpfen etwas  zum Klingeln bringen, wenn sie schon keine Vorstellung vom Beitrag des Kulturschaffens für ein demokratisches Gemeinwesen aufbringen können und sich einen Deut darum scheren, dass die Schweiz vor zwanzig Jahren das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kulturelle Ausdrucksformen ratifiziert hat.

In der Januarnummer des Cinébulletins schreibt Meret Ruggle, Geschäftsführerin bei trigon-film unter dem Titel «Eine Investition in die Kultur ist eine Investition in die Demokratie»: «Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass wir zukünftig ein deutlich höheres Niveau an internationaler Zusammenarbeit erreichen müssen, um Weltprobleme zu bewältigen. Oscarpreisträger Alfonso Cuarón appellierte am Filmfestival Locarno an den Bundesrat: ‹Diese Kulturförderung ist wichtig für die Welt des Films, und sie unterscheidet die Schweiz von anderen Ländern.›»

Ruggle schliesst ihren Beitrag mit der Warnung: «In Zeiten, in denen die Demokratie grossen Gefahren ausgesetzt ist, sollte die Schweiz mit ihrer humanitären Tradition ein Zeichen setzen und Institutionen wie Visions Sud Est fördern, statt abschaffen. Sie ermöglichen künstlerische Freiheit und demokratische Stimmen in Ländern, wo dies systematisch erschwert ist. Kultur bringt die Menschen zusammen, und das brauchen wir heute mehr denn je.»

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Kampagne von Alliance Sud, bei der Bürger:innen dazu aufgefordert werden, wegen den gekürzten Geldern, Alarm zu schlagen. (Bild: Alliance Sud)

Wie hohl klingt dem gegenüber die Antwort von Nicolas Bideau, Pressesprecher des EDA und ehemaliger  Vorsteher der Abteilung Film beim BAK, auf die Aufforderung der Le Temps-Journalistin Élisabeth Stoudmann, zu den Sparmassnahmen Stellung zu nehmen: «Die Kultur bleibt ein strategischer Akteur unserer Entwicklungshilfe».

Ja, wie denn, um Himmels Willen?

Grössere Hilflosigkeit als Bideau zeigt nur noch die DEZA, die der Journalistin mit dem Hinweis auf ihre Medienmitteilung jede weitergehende Auskunft verweigerte.

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