«Mein Werk ist der Ort, wo ich mein Menschsein zeige»

Im neuen Album «Ir Brandig» wagt Trummer den Blick von der Mitte des Lebens aus zurück. Damit hat der Musiker eine Sinnkrise überwunden, in der er sich auch der Frage nach dem Aufhören gestellt hat.

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Auf dem neuen Album «Ir Brandig» stellt Trummer dem städtischen Kosmos Orte gegenüber, die bleiben. (Bild: Reto Camenisch)

Alt werden immer nur die anderen. Man selbst fühlt sich, wenn nicht ewig jung, zumindest niemals alt. Dass die Zeit unbarmherzig voranschreitet, unabhängig vom subjektiven Empfinden, merkt man irgendwann daran, dass Menschen kommen und gehen und geliebte Orte verschwinden. Und dann ist es da, das Bewusstsein für die eigene Vergänglichkeit.

Damit verbunden ist die Frage nach dem persönlichen Zwischenstand und danach, wie man in der Welt steht. Davon handelt das neue Album von Christoph Trummer, der seit über zwanzig Jahren schlicht als Trummer auftritt.

«Mitem nächschte Getränk woni dert bstelle stahni i Garte u gibe e Toascht / Uf di irgendwo i där Wält / U all die verloorene OL’s wo mir scho sy grennt / Dankbar dass mir zwöi dr Absprung hei gschafft us där Stadt / Bevor si üs nümm kennt», singt Trummer im Song «Mir sy no da». Er handelt von der Frage, was aus einem geworden ist. Die Beantwortung dauere mittlerweile länger als die Antwort auf die Frage, was noch in einem stecke.

Alle zwei Wochen veröffentlicht Trummer vorab einen neuen Song. Die LP erscheint im Herbst. Zehn MusikerInnen lud er zu einem Duett ein und vertieft das Gespräch mit ihnen in einem Podcast, der zeitgleich zum Song erscheint. Darin geht es um den Umgang mit der eigenen Biografie, um die Herkunft, geliebte Orte, Weggabelungen und die künstlerische Praxis. Episoden mit Reto Camenisch, La Nefera, Shirley Grimes, Valeska Steiner, Elritschi und Annina Mossoni sind bereits erschienen. Trummer erweist sich als aufmerksamer Zuhörer, der die richtigen Fragen stellt, um mit dem Gegenüber neue Tiefen zu ergründen.

Frage nach der Sinnhaftigkeit

Schon früh begann Trummer über das Songwriting hinaus Geschichten zu erzählen und seine sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten auch literarisch auszuloten. 2014 veröffentlichte er sein erstes CD-Buch «Heldelieder».

Am Lesebuch über die Frutiger Dichterin Maria Lauber, dem eine CD mit Vertonungen in Zusammenarbeit mit Nadja Stoller beigelegt war, arbeitete er redaktionell mit. Und schliesslich stiess sein «Familienalbum» (2020), das vom frühen Tod der Eltern und seiner Kindheit und Jugend im freikirchlichen Umfeld in Frutigen erzählt, auf grosse Resonanz.

2021 gewann er bei den Swiss Music Awards den Artist Award und nach den lang ersehnten Live-Auftritten nach der Corona-Krise folgte die kreative Schaffenskrise. «Nach den vorangegangenen Themenalben habe ich mir Gedanken über den nächsten Stoff gemacht, aber ich bin einfach nicht ins Schreiben gekommen», so Trummer. Ihn plagte die Sinnfrage, auch angesichts des Musikmarktes, in dem die Streamingdienste «täglich so viel neue Musik ausspielen wie vor 35 Jahren weltweit in einem Jahr produziert wurde».

Trummer dachte gar über das Aufhören nach. Schliesslich nahm er sich selbst den Druck, mit dem neuen Album einen vergleichbaren Nachfolger zum Grossprojekt «Familienalbum» schaffen zu müssen. Mit sieben bereits geschriebenen Songs rekrutierte er im Februar 2024 die Band für gemeinsame Aufnahmen, und bis zum Studiotermin im Juni kamen sieben weitere hinzu. Trummer verwandelte die Privatheit der Songs in eine Stärke und fand in der Frage nach der Sinnhaftigkeit einen neuen Sinn.

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Trummer in der längst verschwundenen Cinebar am Bollwerk in Bern, die er im Song «Mir sy no da» zitiert. (Bild: Reto Camenisch 2003)

Die gute alte Jenä

Ein Schlüssel zum neuen Album war Jenä. Sie taucht in fast jedem Trummer-Album auf. Jene Bekannte, mit der man sich versteht, obwohl vielleicht Monate zwischen den Treffen liegen. Bei der auch nicht immer alles rund läuft, eher im Gegenteil. Fast wäre sie ihm abhandengekommen, aber dann suchte ihn sein fiktives Gegenüber glücklicherweise eines Abends am Küchentisch auf, als seine zwei Kinder schon schliefen. Innerhalb von wenigen Stunden schrieb er sechs Strophen und baute so schliesslich sein Album um die Frage, was er Jenä heute zu sagen hat.

Dem städtischen Kosmos von Jenä steht das beständige Frutigen gegenüber, das Erinnerungen an eine erste, zarte Liebe konserviert, an Diskussionen unter Jugendlichen, ob es Gott wohl kümmere, welchen Namen man ihm gebe. Das Dorf der Kindheit liefert die Antwort auf die Frage, wer man ist. «Frutigen ist für mich wie eine Droge», meint Trummer lachend. Regelmässig besucht er mit seinen Kindern die Familie seines Bruders in Frutigen.

Heimat in der Kommune

Seine neue Heimat hat er zusammen mit seiner Familie in Urtenen im U-Huus gefunden, einem Wohnprojekt mit 31 BewohnerInnen, die Kleinsten miteingerechnet.

Ein Teil der Gemeinschaft teilt sich nicht nur die Ausgaben fürs gemeinsame Essen, sondern betreibt eine gemeinsame Ökonomie gemäss dem Solidaritätsprinzip. Das habe ihn und seine Familie auch sicher durch die Corona-Zeit geführt, so Trummer. «In dieser Lebensform liegt wohl auch die Antwort für meine Energie», meint der Musiker nachdenklich, auf seine vielseitigen Engagements angesprochen. Neben seiner Solokarriere spielt er auch in anderen Bands und setzt sich als Präsident der Schweizerischen Interpretengenossenschaft (SIG) und als Vizepräsident von Sonart für die Kulturpolitik ein.

«Der Alltag wird durch das Zusammenleben im U-Huus bewältigbarer.» Man teile sich Aufgaben und Verantwortung. Er verbrauche auch keine Kraft dafür, sich zu verstellen: «Ich muss keine Behauptung aufrechterhalten.» Nicht vor der Gemeinschaft, nicht in der Musik. Mit dieser Wahrhaftigkeit schafft er immer wieder Songs, die sich der Zeit entziehen - intellektueller als Gölä, nicht so schwülstig wie Patent Ochsner, tiefgründiger als ZüriWest. Seine Songs vertrauen ganz der akustischen Gitarre, welche unaufgeregt die Fliessrichtung bestimmt.

«Mein Werk ist der Ort, wo ich mein Menschsein zeige», meint Trummer. Zur Sinnhaftigkeit beitragen und etwas schaffen, das auch in 150 Jahren noch gültige menschliche Wahrheiten thematisiert, das ist sein Ansporn, eine Herausforderung, der er mit sanfter Melancholie begegnet, daran erinnernd, dass das Leben erst durch unsere Verwundbarkeit kostbar wird.

Hier geht's zum Song «Ir Brandig» feat. Shirley Grimes

und hier zu Trummes Website mit Songs, Podcast und weiteren Infos.

Dieser Artikel erschien erstmals im Frutigländer.

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