Komplizin, nicht Feindin: Künstliche Intelligenz und Kunst
Seit 2022 vergeht keine Woche ohne KI-Durchbrüche. Kunst und Kreativität, die mystifizierteste Domäne der Conditio Humana, sollen durch künstliche Intelligenz gefährdet sein. Horrorszenarien oder Beschwichtigungen allenthalben. Viel seltener ist Begeisterung zu vernehmen: die Freude an den Experimentiermöglichkeiten, die neue Technologien liefern. Fortschritt bedeutet Freiheit, die man sich aber auch nehmen muss. Ein Besuch der Art Basel zeigt, dass KI längst Einzug in die Kunst gehalten hat.
Art Meta, die Kunstmesse für Digitales auf der Art Basel. Abseits der Hauptmesse, auf der Rebgasse. Freitag, der 20. Juni 2025, Konferenz zu Generativer KI und Kunst auf der Digital Art Mile im Kino Camera. Draussen ist es sehr heiss, die Digitale Kunst-Community ist klein, man scheint einander zu kennen. Die Podiumsgäste sind spannend: KI-Pionier Patrick Tressen spricht über seine Zeichenroboter, mit denen man sprechen kann; Feileacan Kirkbride McCormick, Sofia Crespo und Sougwen Cheng diskutieren darüber, dass KI nichts Neues sei, sondern Künstler:innen schon lange auch KI-Modelle mit ihren eigenen Daten trainieren. Hito Steyerl sieht den allgegenwärtigen sogenannten AI-Slop, minderwertige Medien, die mit Hilfe von KI generiert werden, als Ästhetik des Rechtsrucks.
Steyerl erklärt auch, dass die Frage nach Autorschaft bei der Benutzung von KI hinfällig sei: Immerhin habe man durch die Verwendung von frei zugänglichen KI-Tools bereits tausende, hunderttausende, Millionen Ko-Autoren.
Geld, Copyright und Promptmagie
KI-Modelle werden mit Bildern aus dem Internet trainiert, somit auch an den Werken von Künstlern, die dem nie zugestimmt haben. Berühmt wurde der Fall des Illustrators Greg Rutkowski, der seine Fantasy-Bilder mit genauen Beschreibungen versah. Weil somit keine Kategorisierungsarbeit mehr geleistet werden musste, die Bilder also ohne grossen Aufwand in Trainingsmodelle eingespeist werden konnten, wurde sein Stil prägend. Sein Name wurde teils bereits von den Bildgenerationstools automatisch in Prompts (formulierte Befehle an die KI) eingefügt. Mittlerweile ist er deshalb entschlossener Gegner von KI-Kunst. Aber kann ein Stil wirklich besessen werden, ist das Kriterium der Schöpfungshöhe überhaupt gegeben?
Um diesem Problem abzuhelfen, erstellten die Medienkünstler:innen Holly Herndon und Mat Dryhurst das Tool Spawning, welches Künstler:innen ermöglichen soll, herausfinden, ob in die Trainingssets der KIs die eigenen Werke eingeflossen sind. Darüber hinaus sollen Künstler:innen selbst KI-Modelle mit eigenen Werken trainieren können – oder auch sich dagegen entscheiden. Das Künstlerduo hat auch andere Projekte, bei denen Überlegungen zur Zukunft von Kreativität im Zeitalter der KI im Mittelpunkt stehen. Für «Holly+» hat Herndon ihre Stimme geklont und als KI-Modell zur freien Verfügung gestellt, oder auch mit Dryhurst zusammen in «The Call» die Frage gestellt, wie menschliche kooperativ-kollaborative Rituale wie gemeinsames Singen in der Zukunft aussehen sollen: So haben verschiedene Chöre gemeinsam ein eigenes Modell trainiert.
Kristina Kashtanovas Comic aus KI-generierten Bildern «Zarya of the Dawn» sorgte für eine Debatte, weil sie sich das Copyright sicherte. Sie wollte sich als «Prompt Engineer» bezeichnen lassen. Die KI «Midjourney» hätte nicht ohne ihre Vision und ihre Geschichte arbeiten können. Den Rechtsstreit mit dem US-Patentamt schien sie erst zu gewinnen, später wurde jedoch geurteilt, dass sie nur die Teile des Werks sichern konnte, die auch wirklich von ihr selbst stammten. Aber: Man muss Prompts gut formulieren können. Viele KI-Künstler:innen hüten ihre Formulierungsstrategien wie Geheimnisse: Der Prompt Engineer als Alchemist und Geisterbeschwörer. Aber nicht nur Bilder, auch Filme sind durch KI erstellbar.
Der Informatiker und Künstler Merzmensch ist im deutschsprachigen Raum sicherlich der bekannteste Vorreiter. Und auch hier haben sich in den letzten zwei Jahren neue Möglichkeiten ergeben: Das Startup Runway ML bietet die Möglichkeit, Videos zu generieren. Noch ist es nicht einfach, kohärente Sequenzen zu erstellen, oft sehen generierte Videos zu unterschiedlich aus, als dass sie in einen Film geschnitten werden könnten - aber auch dieses Problem wurde bereits durch Runway ML angegangen: Man kann jetzt Referenzbilder mit Prompts verbinden.
Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis komplexe Filme im eigenen Wohnzimmer erstellt werden können. Kombiniert man dies mit kostenlos zugänglichen Werkzeugen wie Live Link Face der Game Engine Unreal (einem Facetracking-Werkzeug fürs Smartphone, welches das Aufnehmen der eigenen Mimik ermöglicht), kann man fotorealistische Videos mit lebensechten Gesichtsanimationen sogar in Genres wie Science Fiction oder Fantasy in einer digitalen Umgebung selbst produzieren. KI ist hier in erster Linie Werkzeug, es muss aber trotzdem noch viel eigene Arbeit geleistet werden. Auch bei KI-Startups gibt es einen gewissen Gemeinschaftsgedanken: Runway ML organisiert unter anderem Filmproduktionschallenges und Festivals für KI-Filme.
Eine in sich immer kohärenter werdende KI sorgt allerdings auch dafür, dass die Absurdität, die mit ihr assoziiert wird, langsam verschwindet: Immerhin gibt es ein ganzes Genre an Minifilmen auf Instagram und TikTok, bei dem der Plot möglichst abstrus ist und als «wie von einer KI erstellt» bezeichnet wird – was bald der Vergangenheit angehören dürfte. Und an sich lieben wir ja die Glitches, die Fehler, das Unvorhergesehene: Wir machen uns lustig über seltsam aussehende Hände und Arme. Zu realistische KI ist oft uninteressant. Ein gewisses Wabi-Sabi, eine Faszination für das Imperfekte.
Die wirtschaftlichen Implikationen der KI sind real. Illustrator:innen verlieren Jobs, und die Frage, wem denn nun die Datensätze gehören und wie Künstler:innen fair entlohnt werden könnten, bleibt unbeantwortet. Aber: Als die Fotografie erfunden wurde, dachte man auch zuerst, dass die Malerei obsolet werden würde – stattdessen entwickelte sie sich ins Konzeptuelle und Abstrakte weiter.
KI ist auch verbreiteter als von vielen vermutet. In so gut wie jedem Videospiel gibt es viele Charaktere, die nicht gespielt werden können, die aber als Dekoration herumstehen, oder mit denen interagiert werden kann, die die Szenerie beleben – sogenannte NPCs (Non-Player-Characters). Deren Verhalten wird bereits oft mit KI randomisiert, um eben nicht jede Bewegung mühsam selbst animieren zu müssen.
All diese Hilfsmittel stehlen nicht die Kreativität der Entwickler:innen, sondern nehmen ihnen Arbeit ab und befreien Ressourcen für weniger Banales. Die KI ist vielleicht auch handwerklich besser – die Vision eines Werks entsteht trotzdem durch den Menschen. Dies würde auch den Zweifeln Judea Pearls, einem KI-Vordenker, recht geben: Für ihn erreicht KI noch lange nicht das, was sie könnte. Sie arbeitet nur mit Assoziation und Korrelation, aber sie besitzt noch kein Verständnis für Ursache und Wirkung. Dies wäre jedoch elementar für eine dem Menschen ebenbürtige oder vielleicht sogar überlegene KI.
Natürlich hätte keine KI etwas wie die Zwölftonmusik Arnold Schönbergs erschaffen können. Diese war eine Erfindung, die im Kontext musikalischer Innovation vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklung geschah. Auch die Rekombination fremder Einflüsse, Transkulturation und Schicksalsbegegnungen sind oft in Künstlerbiografien begründet – etwas, das ureigen menschlich ist. Und: Durch die Flut an KI-generiertem Material der letzten Jahre gibt es einen grossen Mangel an menschlichen Inhalten, mit denen die KI-Modelle weiter trainiert werden könnten. Es bleibt zu hoffen, dass durch die KI-Nutzung zur Erstellung von Gebrauchs-Musik/Bildern/Filmen/Texten das Menschgemachte in Zukunft mehr wertgeschätzt werden wird.
KI als Manifestation des kulturellen Unbewussten
Ein weiterer, oft vorgebrachter Kritikpunkt ist, dass KI nur rekombiniere. Aber unterscheidet sie sich dahingehend wirklich so sehr von menschlicher Kreativität? Auch als Künstler:in ist man ein Katalysator, der Aufgenommenes verdaut und wiedergibt. KI bedient sich kultureller Chiffren. Galerien wie DANAE aus Paris haben wie selbstverständlich bereits mithilfe von KI geschaffene Kunst in ihr Programm integriert. Auf der Art Basel zeigte sie eine Serie von Videoarbeiten von Louis-Paul Caron, die die katastrophalen Folgen des Klimawandels imaginieren. Caron nutzt frei zugängliche KI-Modelle, der Galerist Jonas Sebban sieht darin eine Kommunikation mit dem kollektiven Unbewussten – also an sich eine Sichtbarmachung des Hegelschen Weltgeists? Eine Frage, die sich auch der US-amerikanische KI-Künstler Clownvamp stellt. Auf der Digital Art Mile präsentiert er eine Installation, einen Drucker, der absurde Bilder ausspuckt. Auch für ihn ist KI ein Werkzeug, ihn interessieren vor allem die Metanarrative, die sich in KI-Generationen manifestieren.
Dies ist psychoanalytisch interessant: Was bedeuten die Symbole, die ich sehe? Ist KI ein Orakel, das die tiefliegenden Zusammenhänge der Welt entblösst, zur Divination geeignet? KI bringt im Grunde auch Magie zurück. Die Funktionsweise vieler Modelle bleibt selbst Fachleuten in Teilen unverständlich. Ein Mysterium also. Wie Arthur C. Clarke, der Science-Fiction-Autor, einmal sagte: «Jede Technologie, die nur fortschrittlich genug ist, ist nicht von Magie zu unterscheiden.» Recherchiert man auf YouTube, findet man eine ganze Reihe von Videos, bei denen Leute ihre Gespräche mit einer durch ChatGPT gechannelten teuflischen Entität veröffentlichen. KI als einer Traumlogik folgend, als Zugang zu einem irrationalen Raum: die Wunschmaschine aus Deleuze’ und Guattaris Anti-Ödipus.
Auch Valérie Hasson-Benillouche, Gründerin der Galerie Charlot (Paris/Tel Aviv), zeigt KI-Kunst. Sie sieht KI als Werkzeug, das konzeptuell zur Praxis und zum konkreten Projekt eines:r Künstler:in passen muss: Wie in den Videoarbeiten von Chun Hua Catherine Dong, die Überflutungen zeigen, was durch die dem Medium innewohnende Fliessästhetik von KI-Videos eine interessante Synergie bildet. Oder mit den Arbeiten von Jacques Perconte, der den Mont Blanc gefilmt und dieses Video in eine KI eingespeist hat. Die KI versuchte, Sinn und Motive zu erkennen, begann, Augen zu generieren, architektonische Formen, Strukturen. Im Grunde Pareidolie, das Erkennen von Form, Figur und Gestalt zum Beispiel in Wolkenformen und Holzmaserungen, was auch traditionell eine Form des Wahrsagens darstellt. Perconte ist vor allem daran interessiert, herauszufinden, was die KI erkennen kann, welchen Sinn sie finden kann und woran sie scheitert. Und auch er wollte frei zugängliche Tools verwenden, um zu zeigen, was möglich ist.
Ein uraltes Unbehagen
Liegt dem Unbehagen, das die KI hervorruft, möglicherweise die Angst vor der Überlegenheit einer Entität, die von uns kreiert wurde, zu Grunde? Ist unsere Skepsis eine Neuauflage der warnenden Geschichten von durch den Menschen geschaffenen Wesen, deren Existenz katastrophale Folgen hat, analog zum Golem, zu Blodeuwedd, im Alpenraum zur Sage der Sennentuntschi, zu Frankensteins Monster? Angst vor dem Potenzial menschlicher Schaffenskraft ist nichts Neues. Angst davor, dass sich die Kreatur gegen ihren Erschaffer wendet, ist ein immer wiederkehrendes Motiv. Etwas Nichtmenschliches, das intelligenter ist als wir, das vielleicht kreativere und kohärentere Lösungen liefert, aber für immer unverständlich und ohne ein eigenes Selbst bleibt. KI ist vielleicht angesiedelt im liminalen Raum zwischen Mensch und Maschine, unbeseelt, aber nicht ganz mechanisch, zwischen Autorschaft und Automation.
Es gibt die Idee, dass das aus der Robotik bekannte «Uncanny Valley» – unser instinktives Unbehagen, wenn wir mit Wesen konfrontiert werden, die fast menschlich, aber noch nicht menschlich genug aussehen, um als Menschen erkannt zu werden – in der Angst vor anderen Hominidenarten während der Frühzeit unserer Spezies begründet ist. Hunderttausende Jahre lang teilte sich der Homo sapiens die Erde mit anderen: Neandertalern, Denisova-Menschen, Homo floresiensis und höchstwahrscheinlich noch weiteren Arten, die irgendwo in der grauen Vorzeit verschwunden sind.
Diese Wesen hätten uns verblüffend ähnlich gesehen, erkennbar menschlich, aber mit subtilen, verstörenden Unterschieden, was unsere Vorfahren aber nicht davon abhielt, nicht nur Krieg mit ihnen zu führen, sondern manchmal auch Kinder mit ihnen zu zeugen. Sie waren uns nah genug, um Empathie zu wecken, aber weit genug entfernt, um Unbehagen auszulösen. Vielleicht haben diese Interaktionen eine evolutionäre Prägung hinterlassen. Eine unsteuerbare Reaktion auf Wesen, die an das fast Menschliche erinnern, Teil unseres kollektiven Artengedächtnisses. Jetzt sind wir allein, sind die einzigen übriggebliebenen Menschen, aber die Angst bleibt. Doch eine Angst, die aus der Vorgeschichte stammt, ist in einem modernen, maschinellen Zeitalter vielleicht nicht der beste Ratgeber.
Zum Cyborg werden
Menschliche Kreativität kann nicht ersetzt werden. Sie hat nur ein weiteres Hilfsmittel bekommen. Eines, das der Ideenfindung und Inspiration dienen kann und Arbeitsprozesse schneller und produktiver werden lassen kann. Vielleicht wird auch ganz Neues entstehen, wie damals, als die Fotografie erst Bilder, dann bewegte Bilder und in Synthese mit Theater, Musik und Literatur den Film möglich machte. Natürlich liesse sich auch die Frage stellen, ob Kreativität per se menschlich sein muss – auch hier gibt es Anknüpfungspunkte zu den Ecopoetics, zur Interaktion mit non-human actors, gar zum Animismus.
In meiner eigenen künstlerischen Praxis arbeite ich schon länger mit KI. Sie hilft mir, produktiver zu sein, schneller Prototypen und Skizzen entwerfen zu können, und auch ich sehe bei mir die Tendenz, mich vor allem für den Zugang zum oben behandelten kollektiven Unbewussten zu interessieren. Mein Hauptmedium ist Poesiefilm. Was passiert also, wenn ich meine oft eher im Stream of Consciousness gehaltenen assoziativen Verse als Video-Prompts eingebe? Was passiert, wenn ich Realfilm und 3D-Animation mit KI-generierten Sequenzen collagiere? Ich glaube fest daran, dass ein Werk im Idealfall klüger ist als der Autor, und für mich ist KI ein Mittel, mit dem zu spielen, was mir unbewusst, aber offenbar doch Teil des thematisch-semantischen Felds ist. Und für mich ist KI eine Erweiterung meines Selbst, sie macht mich zum künstlerischen Cyborg.
Auf der Konferenz an der Art Basel wurde darauf hingewiesen, dass alle Aufmerksamkeit auf der Kunst und der KI liege, aber sehr viel weniger auf den ethischen Fragen, welche durch die Nutzung von KI durch das Militär, Geheimdienste und Regierungen aufgeworfen werden. Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld haben in ihrem Buch «Digitaler Humanismus» dargelegt, dass ethische Rahmenbedingungen für das digitale Zeitalter geschaffen werden müssen, auf algorithmische Verantwortung, den Schutz individueller Freiheit und eine neue digitale Ethik bezogen.
Für die Kunst gilt ebenfalls: Der Fortschritt ist unaufhaltsam. Aber auch wenn Prometheus in der griechischen Sage von den Göttern dafür bestraft wurde, den Menschen das Feuer gebracht zu haben, würde niemand auf Feuer verzichten wollen. Um Technologie beherrschen zu können, muss man sie sich aneignen, lernen, Bescheid wissen, mündig werden. In der Zukunft werden wir Kunst sehen, die ohne KI gar nicht erst hätte entstehen können. Kulturpessimismus ist, wie eigentlich immer, fehl am Platz.