Im Lachen vereint

Der Kanton Waadt nimmt sich der Komiker:innen an: In seinen kulturpolitischen Leitlinien für 2024–2027 werden sie als Vertreter:innen einer eigenständigen und förderungswürdigen Kunst anerkannt. Dieser kulturpolitischen Première ging 2020 die Gründung des Berufsverbandes Union Romande de l’Humour (URH) voraus, der gerade auch auf die Frauenförderung grossen Wert legt.

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Sabine Melchior-Bonnet, weist in ihrem Buch «Le Rire des femmes. Une histoire de pouvoir» nach, dass das Lachen in der Öffentlichkeit bis ins 20. Jahrhundert den Männern vorbehalten war. (Bild: zvg)

«Das größte Lachen gründet in den grössten Enttäuschungen und den grössten Ängsten», schrieb der amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut Mitte der 1960er Jahre in einem Essay. Seine Enttäuschungen beruhten darauf, dass die USA nach dem 2. Weltkrieg – dessen Grausamkeiten Vonnegut als Soldat erlebt hatte – in Korea und Vietnam weiterhin Krieg führten. Seine Ängste erwuchsen aus der ständigen Gefahr einer nuklearen Katastrophe im Kalten Krieg. Und er sah neben den weltweiten Bedrohungen auch in persönlichen Nöten Anlässe zu Verzweiflung und Beklemmung – und damit zum Lachen.

Angesichts der zunehmenden Katastrophen im letzten Jahrzehnt (eine Aufzählung erübrigt sich) ist es, mit Vonnegut gesehen, nicht erstaunlich, dass der Beitrag von Komiker:innen zur Bewältigung neuer Enttäuschungen und Ängste bei vielen, vor allem jüngeren, Menschen immer grösseren Anklang findet. Einer besonderen Beliebtheit erfreut sich das, was man in den USA Stand-Up-Comedy nennt, der Auftritt einzelner Bühnenkünstler:innen, die sich mit ihrer pointenreichen Suada direkt ans Publikum wenden.

Während Komiker:innen dieser Art sich bis in die jüngere Zeit meist in den Randbereich der kleinen Bühnenkunst verwiesen sahen, was Auswirkungen auf fehlende Förderung hatte, hat der Kanton Waadt sie in seinen kulturpolitischen Leitlinien für 2024–2027 als Vertreter:innen einer eigenständigen und förderungswürdigen Kunst anerkannt.

Wichtig für diese kulturpolitische Première ist sicher, dass die Komiker:innen der Suisse romande Ende 2020, mitten im Covid, den Berufsverband Union Romande de l’Humour (URH) gegründet haben. Die URH setzt sich für die Förderung des Berufs in all seinen Formen ein: vom Stand-up bis zum Theater, solo oder im Kollektiv, von der Improvisation bis zur Revue, im Radio oder im Comedy-Club. Wichtig ist dem Verband zunächst vor allem die Verbesserung der finanziellen und sozialen Sicherheit dieser Künstler:innen, die bis heute oft noch formlos nur durch ein paar Flaschen Wein, ein Essen oder eine Saalkollekte für ihre Auftritte vergütet werden. Entscheidend für die Verteidigung ihrer Rechte ist es aber auch, dass sie im wechselseitigen Austausch, in ihrer Zusammenarbeit und durch Beratung und Fortbildung ihre Kompetenzen erweitern können.

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Die Komikerin Eugénie Lapp bei einem Auftritt. (Bild: L. Vuilleumier )

Förderung des weiblichen Nachwuchses

Als besonders wichtig erachtet die URH die Förderung des weiblichen Nachwuchses für ihren Berufsstand. Von ihren über 130 Mitgliedern sind bisher nur etwa ein Fünftel Frauen. Deshalb hat die UHR unter dem Titel «Drôles de filles» in Zusammenarbeit mit der RTS (Radio Télévision Suisse) 2024 und 2025 schon zwei Werkstätten für angehende Komiker:innen durchgeführt. In der Podcast-Reportage der RTS über die Werkstatt 2025 sagt die junge Komikerin Eugénie Lapp, diese Werkstatt sei für sie nicht nur unter dem Aspekt der Weiterbildung im Schreiben und im Bühnenauftritt wichtig, ihr bedeute es auch viel, dass sie sich durch ihre Teilnahme in ihrer Tätigkeit als Frau in diesem Beruf ernstgenommen und anerkannt sehe. Die Suisse romande folgt mit «Drôles de filles» dem Vorbild Kanadas. Dort hat die Provinz Québec schon vor 15 Jahren mit der Förderung der Frauen in der Stand-up-Comedy begonnen – unter demselben Titel.

Dass die Komikerinnen mehr Schwierigkeiten haben, anerkannt zu werden, als ihre Kollegen, liegt nicht nur am allgemeinen Rückstand der Gleichberechtigung der Frauen – in der Schweiz grösser als in Kanada –, er erklärt sich spezifischer auch daraus, dass das Lachen in der Öffentlichkeit bis ins 20. Jahrhundert den Männern vorbehalten war. Die Frauen hätten seit Jahrhunderten nur in der Intimsphäre mit Ehemann und Kindern oder untereinander lachen dürfen, erklärte die französische Historikerin Sabine Melchior-Bonnet, Autorin des Buches Le Rire des femmes. Une histoire de pouvoir, in einem Interview 2021 mit der Zeitung Le Temps.  

Eine der Ersten, die sich gegen diese spezielle Diskriminierung wandte, war die Autorin Virginia Woolf. In ihrem Essay The Value of Laughter stellt sie 1905 fest, Humor werde den Frauen verwehrt, obwohl diese – zusammen mit den Kindern – doch die «chief ministers of the comic spirit» seien. Sie stünden den vorherrschenden Konventionen distanzierter gegenüber als die Männer, ihr Lachen über Abweichungen von geltenden Normen rufe deshalb nicht etwa deren Gültigkeit in Erinnerung, es stelle sie in Frage. Weil das Lachen nach Woolf den Menschen ganz grundsätzlich so sehen lasse, wie er wirklich sei, ohne Ansehen des Reichtums, des Ranges und der Bildung, betrachtet auch Melchior-Bonnet Komik und Humor der Frauen als einen wichtigen Faktor ihrer Emanzipation und Gleichberechtigung.

Professionalisierung

Für beide Geschlechter hat die URH zusammen mit der RTS diesen Mai im Caux-Palace oberhalb Montreux zum ersten Mal eine einwöchige Fortbildungswerkstatt durchgeführt, die den Teilnehmenden nicht nur ein Mentoring für ihr Schreiben und ihre Auftritte bot, sondern auch Ateliers für alles, was den weiteren beruflichen Werdegang, Entlöhnung, Geldbeschaffung und administrative Fragen sowie die Benutzung der sozialen Medien angeht.

Lucas Vuilleumier gehörte zu den zehn von insgesamt sechzig Bewerber:innen, die für die Teilnahme an der Werkstatt in Caux ausgewählt wurden. Er hat seine künftige Hauptaktivität schon früh im Schreiben gesehen, zielte ursprünglich vor allem aufs literarische Schreiben und wurde im Brotberuf Journalist. Sein Talent zum Humoristen entdeckte er wie andere seiner jüngeren Kolleg:innen in der Zeit des Covid-Lockdowns, als er auf Instagram und Facebook «Un confinement avec Maman» startete, eine Serie von kurzen Sketches, in denen er die Sicht seiner Mutter auf ihren homosexuellen Sohn parodierte. Damit hatte er ein solches Echo, dass er von Couleur 3, dem RTS-Sender für ein jüngeres Zielpublikum, für regelmässige Beiträge angefragt wurde. Nun ist er jeden Freitagmorgen mit seiner Radiokolumne Bienveillance zu hören.

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Lucas Vuilleumier im Soloprogramm «Rien prouvé». (Bild: L. Vuilleumier)

Couleur 3 bietet ihm ein willkommenes kleines Salär, auf Dauer wahrscheinlich mehr, als was ihm die Auftritte mit seinem ersten grösseren Soloprogramm, Rien prouvé, zwischen 2022 und 2025 einbrachten. In der Werkstatt in Caux sah er die Chance, seine eigene Professionalisierung weiterzuentwickeln.

Mit der Berufsbezeichnung «Komiker», auf Französisch «humoriste», wird er allerdings nicht recht glücklich, auch wenn er selbst keinen besseren Ausdruck vorschlagen kann. Sein grösstes Vorbild, die Comedyfrau Zouc, nannte sich Schauspielerin und Autorin. Als Autor sieht er sich zwar ebenfalls, aber Schauspieler war er nie, auch wenn er sein schauspielerisches Talent im Unterricht bei einem Schauspieler weiterentwickelt hat. Auch auf Stand-up-Comedian will er sich nicht festlegen lassen, denn er inszeniert seine Bühnenauftritte ja als Rollenspiel. In Rien prouvé spielt er insgesamt dreiundzwanzig Figuren, die wie seine Mutter über Lucas Vuilleumier reden – eine urkomische Selbstpersiflage. Seine Auftritte zielen auf ein Lachen in einer Mischung von Reflexion, Emotion und Träumerei, und wenn damit auch eine therapeutische Wirkung auf das Publikum einhergeht, stört ihn das nicht.

Versöhnlich – mit einem Stachel der Kritik

Der Titel Bienveillance seiner Radiokolumne, auf deutsch «Wohlwollen», zeigt mit einer guten Portion Ironie, was Vuilleumier wie die meisten seiner Kolleg:innen unter Humor versteht. Er nimmt hauptsächlich aufs Korn, was ihm selbst am nächsten ist, um sich darüber lustig zu machen. In seinen Darbietungen geht es nicht um vernichtende Satire, oder wenn, nur gegenüber der Arroganz der Mächtigen. Er will sein Publikum erheitern im Doppelsinn, also belustigen und zugleich aufklären. Seine Komik zielt auf Versöhnung, mit der Welt und mit sich selbst, aber nicht voreilig, sondern so, dass auch ein Stachel der Kritik hängenbleibt.

Seine Kolleg:innen machen das auf ganz verschiedene Weise, die einen eher offen politisch, die anderen eher auf ihre persönlichen, familiären und beruflichen Erfahrungen bezogen, alle in einem lustvoll befreienden Spiel mit der Sprache, das ihnen erlaubt, Tabuzonen zu betreten, Unsagbares anzusprechen, ob es nun um politische, kulturelle, ethnische oder sexuelle Orientierungen und Zugehörigkeiten geht.

Das Format ihrer Auftritte auf den Internet-Plattformen, in den Clubs, an den Festivals und auch im Radio verlangt von ihnen, dass sie auch bei ernsthafteren Themen einen überraschenden Gag an den anderen reihen. Dabei besteht die künstlerische Herausforderung darin, mit Stereotypen zu spielen, ohne sich mit ihnen zu begnügen, jede Schwerfälligkeit zu vermeiden und doch letztlich ernst genommen zu werden. Im Wetteifer um die Aufmerksamkeit in den Comedy-Clubs und in den sozialen Medien (YouTube, Instagram, TikTok, Facebook) stehen sie zwar in Konkurrenz, aber das tut ihrer Solidarität untereinander keinen Abbruch. Sie bleiben im Lachen vereint.

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