Gegen die Unmenschlichkeit

Am Samstag (26.04.) findet im Kulturhaus Helferei in Zürich das Festival russischsprachiger Antikriegsdramatik «Echo Ljubimowka» statt. Szenisch gelesen werden je ein ukrainisches, ein belarusisches und ein russisches Stück, teils in Übersetzung, mit Übertiteln in Deutsch, Englisch und Russisch. Cültür sprach mit dem Initiator Roman Lykov.

Irina
Iryna Serebriakova schrieb zusammen mit Masha Denisova das Stück «Frauen im Dunkeln». (Bild: zvg)

Lubimovka oder Ljubimowka (Anmerkung: beide Transliterationen sind richtig, international wird aber eher Lubimovka gebraucht) ist der Name des Hauses im Dorf Tarasowka unweit von Moskau, in dem Konstantin Stanislawski, nach dem die Stanislawski-Methode für Schauspieler benannt ist, seine Residenz hatte. Stanislawsi strebte einen naturalistischen Stil an, dabei sollte die Darbietung auf der Bühne dem wirklichen Leben möglichst nahe kommen.

In den 1990er Jahren wurde in Ljubimowkaein Festival für szenische Lesungen neuer russischsprachiger Theaterstücke, nicht nur aus Russland, sondern dem gesamten postsowjetischen Raum, initiiert. Während eines ungefähr einwöchigen Marathons fand von morgens bis abends neue Dramatik einen Raum.

2001 zog das Festival nach Moskau um, ab 2007 fand es im «Teatr.doc» statt, einem berühmten Theater, dessen Fokus auf Dokumentartheater liegt, aber auch viele kritische und avantgardistische Produktionen ausrichtet. Seit 2022 sind aufgrund der politischen Situation viele Theaterschaffende, Schauspieler und Regisseure emigriert. Das Festival findet also nicht mehr statt, an dessen Stelle haben sich viele kleine dezentrale Filialen, «Echos» genannt, gegründet, die als kleinere und auch kürzere Alternativen zum Hauptfestival gedacht sind. Diese «Echos» gibt es jetzt bereits in Berlin, Tel Aviv, Warschau, Tallinn, Los Angeles, Tbilissi und vielen weiteren Städten. Das ursprüngliche Organisationsteam wählt immer noch die Stücke aus und erstellt Shortlists für die «Echos». Welche Stücke nun tatsächlich gelesen werden, entscheiden die Teams vor Ort. Seit 2022 wurde das Programm «Schreiben gegen den Krieg» gegründet, wofür es jedes Jahr eigene Shortlists gibt. Die meisten «Echos» wählen Stücke aus dieser Shortlist.

Cültür: Herr Lykov, weshalb wollten Sie ein Ljubimowka-Echo selbst organisieren?

Roman Lykov: Ich bin in Kirgistan geboren, und kam mit 22 nach Moskau, um Theaterregie zu studieren. Dort lernte ich Mikhail Ugarov kennen, der einer der Gründer von «Ljubimowka» war, durch den ich bereits im ersten Studienjahr verstanden habe, dass zeitgenössische Dramatik ein wichtiges Instrument für die Entwicklung und Entfaltung der Gesellschaft ist. Deswegen lag mein Hauptfokus auf dem Theater von heute. Ich habe «Ljubimowka» jedes Jahr besucht. Nach meinem Umzug, erst nach Deutschland, dann nach Zürich, um an der Zürcher Hochschule der Künste den Master-Studiengang Theater zu absoliveren, wollte ich den Geist dieses Festivals auch in die Schweiz tragen. Hier ist russischsprachige, alternative, den Krieg ablehnende Dramatik noch nicht wirklich im Bewusstsein der Menschen angekommen. Das Team besteht in erster Linie aus russischen, belarusischen und Schweizer Kommilitonen aus dem Bachelor- und Masterstudiengang, aber auch aus anderen Departementen. Besonders erwähnen möchte ich hierbei die Kuratorin Maria Sorensen, die einen grossen Teil der Administration übernommen hat sowie professionelle Theaterschaffende und -kritiker wie Aino Antonova und Nika Parhomovskaya. Letztere musste Russland nach 2022 verlassen und lebt jetzt in Basel.

Mikita
Mikita Ilyinchyk ist der Autor der Dystophie «Say hi to Abdo», in deren Zentrum ein Genozid steht. (Bild: Helena Ludkiewicz)

Was macht das Echo Ljubimowka Zürich besonders?

Wir wollten unbedingt, dass es einen Austausch mit dem Schweizer Publikum gibt. Deswegen ist uns die Zugänglichkeit besonders wichtig: Es gibt daher deutsche, englische und russische Übertitel, je nachdem, auf welcher Sprache gelesen wird. Die drei Stücke, die wir ausgewählt haben, stammen aus der Ukraine, aus Belarus und aus Russland. Damit zeigen wir unterschiedliche Perspektiven, wodurch eine Annäherung stattfinden kann. Es geht darum, dass anständige Menschen trotz des schrecklichen Krieges hoffentlich in einen Dialog miteinander treten und weiterhin zusammenarbeiten können.

Was zeichnet die Stücke aus, die gezeigt werden?

Alle der drei Stücke stammen von jungen, aber im postsowjetischen Raum sehr berühmten und gefeierten Autor:innenen. Das ukrainische Stück «Frauen im Dunkeln» wurde von Iryna Serebriakova und Masha Denisova geschrieben. Es geht um die Frauen, die in der nie enden wollenden Alltagshölle des Krieges in Kyjiw leben. Sie haben mit den ständigen Stromausfällen und der kaputten Infrastruktur zu kämpfen, mit dem Wassermangel. Dazu kommt die ständige Angst vor dem Tod. Iryna Serebriakova, die mittlerweile in Spanien lebt, wird sogar eigens für das Nachgespräch anreisen.

Das belarusische Stück «Say hi to Abdo» von Mikita Ilyinchyk, der in Polen lebt, ist eine Dystopie, die in der Zukunft spielt, nachdem im Rahmen der Flüchtlingskrise ein Genozid verübt wurde. Es ist bekannt, dass heutzutage der belarusische Diktator Geflüchtete dazu benutzt, Druck auf Europa auszuüben. Das Stück denkt die heutige Situation zu Ende und stellt die Schuldfrage.

Das russische Stück «Wanja lebt!» von Natalia Lizorkina, die in Georgien wohnt, ist ein Stück, bei dem es darum geht, was mit Sprache und Trauer in einer Situation und einem System geschieht, in dem man nicht offen sprechen darf. Eine Mutter verliert ihren Sohn im Ukraine-Krieg und wird vom Regime für ihren Protest bestraft, aber sie muss konstant das Gegenteil von dem sagen, was sie eigentlich sagen will. Deswegen «lebt» Wanja.

Über Zoom werden auch alle Dramaturgen und auch ein Teil des Kernteams von Ljubimowka dazugeschaltet, Elena Gordienko aus dem Team wird auch nach Zürich kommen. Und das Format einer szenischen Lesung ist ein besonderes: Oft geschieht so ein viel intimeres und tiefgründigeres Kennenlernen des Texts. Es ist keine Wasserglaslesung, sondern vereint auch performativ-theatralische Elemente. Es schafft somit eine Brücke zwischen dem geschriebenen Text hin zu einer potenziellen Inszenierung.

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«Wanja lebt!» von Natalia Lizorkina handelt von der Trauer in einem System, in dem Zensur herrscht. (Bild: zvg)

Warum fiel die Wahl auf diese Stücke?

Wir wollten eine möglichst repräsentative Auswahl aktueller Diskurse in der ukrainischen, belarusischen und russischen Sphäre treffen. Dass diese relevant sind, zeigt sich auch dadurch, dass ein Teil unseres Teams mit Pseudonymen arbeiten muss, da es sonst potenziell in Russland und Belarus in Schwierigkeiten geraten könnte. Wir hoffen auch, dass sich das Zürcher Publikum auf die Reise mit uns einlässt und einen Einblick in Welten erhält, die hierzulande wenig Aufmerksamkeit erfahren und zu denen kaum Zugang besteht.

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Mitwirkende auf und hinter der Bühne...

Regie: Roman Lykov, Nika Parhomovskaya und Aino Antonova.

Stücke: Iryna Serebriakova, Masha Denisova, Mikita Ilyinchyk, Natalia Lizorkina

Schauspiel: Robert Knorr, Yuri Birte Anderson, Fiona Rae Brunner, Ann Florence Mayer, Janna Rottmann, Anastasia Tatarenko.

Video/Technische Beratung: Stavros Balis, Chloe Lovick Kelly, Vadim Kudelkin.

Unterstützt wird das Festival durch das Kulturhaus Helferei, den Südkultur Fonds und durch die Leitung des Studiengangs Theater an der ZHdK.

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