Ennet der Rösti: Michael Fehr - Autor «in azione»
Im italienischen Sprachraum wird der Berner Autor Michael Fehr als sprechender Bluesman euphorisch empfangen.
Seit 1974 fördert die ch Stiftung mit der ch Reihe den interkulturellen Literaturaustausch zwischen den vier Sprachregionen der Schweiz und hat mit der Herausgabe von 346 Büchern in Übersetzung ein lebendiges Kulturgut geschaffen. Sie feiert diese fünfzigjährige Aktivität seit März dieses Jahres mit einer Lesereise durch die ganze Schweiz und dem Podcast «En voix croisées / Stimmen über Kreuz», den Prof. Dr. Thomas Hunkeler, Velia Ferracini und Alma Decaix-Massiani von der Universität Fribourg zur Präsentation der übersetzten Bücher eingerichtet haben.
Jubiläumslesungen
Gerade eben fand gestern Donnerstag im Literaturhaus Zürich mit Flurina Badel, Fabio Pusterla und dem Übersetzer Christoph Ferber ein lyrischer Abend zu tinnitus tropic/tropischer tinnitus und Nella quiete provvisoria del volo / In der vorläufigen Ruhe des Flugs statt, musikalisch begleitet von Linda Vogel und deutsch-französisch-italienisch-rätoromanisch moderiert von Ruth Gantert statt.
Dieses Wochenende geht es weiter mit einer Veranstaltung im Rahmen der «edICIon», der kleinen Buchmesse in im zweisprachigen Biel/Bienne. Über vierzig unabhängige kleine und mittlere Verlage aus der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz sind dieses Jahr an der Messe im Bieler Farelhaus mit ihren Bücherständen vertreten, und im Hauptanlass am Samstagabend übergibt die ch Reihe die Bühne dem Berner Spoken-word-Autor Michael Fehr, dessen fantastische Kurzgeschichten «Hotel der Zuversicht» (Der gesunde Menschenversand, 2022) dieses Jahr im Tessiner Verlag Casagrande auf Italienisch herausgekommen ist.
In der Tradition der «cantastorie e bluesmen»
Michael Fehr wurde im italienischen Sprachraum gut empfangen. Schon am 14. September konnte er am Festival Babel in Bellinzona mit einer Performance auftreten. Die Vernissage feierten der Verlag und die ch Reihe dann am 16. Oktober mit einer Lesung und einem Gespräch zwischen dem Autor und seiner Übersetzerin Alessia Ballinari im Studio Foce in Lugano. Am 16. November empfing auch die «bookcity milano» den «grande narratore» und seine Übersetzerin und ordnete die Performance des Schweizer Spoken-worders gleich in die Tradition der «cantastorie e bluesmen» ein.
Am 8. Dezember stellte Natascha Fioretti das Buch und den Autor in Azione vor. Fehr sei sich seiner Originalität in der zeitgenössischen Schweizer Literaturszene nicht nur bewusst, schreibt sie, er zeige sich auch stolz darauf. Und sie lässt ihn sagen, worin er diese Originalität sieht: «Man muss davon ausgehen, dass meine Geschichten die Geschichten eines Blinden sind, eines Menschen, der von Geburt an stark sehbehindert ist, deshalb funktionieren sie anders. Meine Welt, die Welt, die ich erzähle, ist ein inneres Universum. […] Viele Schriftsteller schreiben einfach, was sie sehen, oder sie konzentrieren sich auf ihr eigenes Leben. Ich hingegen schreibe innere Geschichten, spirituelle Geschichten, die aus Traumbildern entstehen und surreale Elemente mit sich bringen, was sie oft rätselhaft macht. […] Das kann jene irritieren, die einer konventionellen Leseweise verhaftet sind und meine Texte kryptisch finden. Ich bin davon überzeugt, dass ich glückliche Leser hervorbringe, indem ich sie anrege und ihnen gleichzeitig die Freiheit zum Nachdenken lasse.»
Nach der italienischen Übersetzung wäre nun eigentlich eine französische angesagt. Noch fehlt aber ein Verlag, der diese publizieren würde. Vielleicht könnte das Beispiel von Casagrande aus dem Tessin nun in der Suisse romande oder in Frankreich Schule machen.