Der Blick über den Chuchi Tisch

Auf beiden Seiten des Röstigrabens heisst es gerne mal küchenpsychologisch über die andere Seite: «Liegt das vielleicht daran, dass er Deutschschweizer, respektive Romand ist?» Doch Michael ist mehr. Man betrachte den Küchentisch.

Der Chuchi Tisch: Ein aussergewöhnliches Durcheinander, eine überraschende Mischung, ein Ort, wo man alles und sein Gegenteil findet.
Der Chuchi Tisch: Wo man alles und sein Gegenteil findet. © Garsam Marsia

Quand je suis de passage à Lausanne, je m'arrange pour manger avec mon amie Véronique. Immer wenn ich in Lausanne vorbeifahre, besuche ich meine Freundin Véronique. Elle est vaudoise, sie ist Waadtländerin, mit praktisch keinem Kontakt avec la Suisse allemande. Sie denkt zwar, dass sie sehr gut Deutsch spricht, parce qu'elle a passé un mois au pair à Grenchen Süd en 1990. Als wenn ein Monat dafür ausreichen würde. Sie hat aucune idée de ce qui se passe de l'autre côté de la Sarine, wirklich keine Ahnung, was auf der anderen Seite der Saane vor sich geht. Auf der anderen Seite des Röschti Grabens.

Véronique und ich kennen uns schon sehr lange. Wir sprechen über alles und nichts. Wenn ich ihr erzähle, was ich mit Michael gemacht habe, oder wie unsere Ferien waren, oder wenn ich ihr kleine Begebenheiten aus unserem Leben erzähle, dass Michael, wenn er in die Stadt geht, immer den Busfahrplan im Kopf hat, während ich eher der Typ bin, der zu irgendeinem Zeitpunkt hinausgeht und notfalls 15 Minuten an der Haltestelle wartet, weil genau dann der Zehn-Minuten-Takt des Fahrplans nicht galt, hört Véro mir aufmerksam zu. Es stimmt wirklich, quand Michael va en ville, il a toujours l'horaire du bus en tête. Véro m'écoute attentivement.

Fast jedes Mal fügt sie am Ende mit funkelnden Augen an: «Entschuldige, aber... Glaubst du nicht, dass das daran liegt, dass er Deutschschweizer ist? Tu ne crois pas que c'est parce qu'il est suisse allemand?» In diesem Moment zwinge ich mich immer absichtlich, möglichst laut loszulachen, in der Hoffnung, ihr verständlich zu machen, wie kindisch ihre Interpretation ist: «Aber Véro! Pas du tout! Je connais beaucoup de Suisses allemands, j'en connais même des tas qui arrivent toujours en retard!» Gut, das ist übertrieben, ich kenne nicht viele Deutschschweizer, die regelmässig zu spät kommen. Véronique se soumet toujours sans discuter: «Oui oui, tu as raison, c'est stupide de penser ainsi!» Aber obwohl sich Véronique immer fügt, ohne gross rumzumaulen, erlischt das kleine Funkeln in ihren Augen nie ganz, und ich weiss, dass sie mich bei unserem nächsten Treffen wieder unterbrechen wird, wenn ich ihr erzähle, dass Michael verärgert war, weil ich wiedermal zu spät war, um mir mit diesem leichten Lächeln und dem Funkeln um die Augen im immer Gleichen Tonfall zu sagen: «Entschuldige, aber... Ist das nicht, weil er Deutschschweizer ist?»

Ein sehr originelles Volk

En fait, je pense presque tous les jours à Véronique. Auf jeden Fall denke ich immer an Véro, wenn ich mit den Eigenarten meines persönlichen Deutschschweizers konfrontiert werde. Ich beginne sofort zu fantasieren, welche Schlüsse Véro ziehen würde. Je me mets à rêver aux conclusions que Véro en tirerait. Oui, si Michael, comme elle le pense, était le représentant de la Suisse allemande, tous les cantons réunis, le Suisse allemand-type quoi, les Suisses allemands passeraient pour un peuple très original. Ja wirklich, wenn Michael, wie Véro denkt, der Vertreter aller Deutschschweizer schlechthin wäre, der alle Eigenschaften aller Deutschschweizer aus allen Deutschschweizer Kantone vereint, dann würden die Deutschschweizer als ein sehr originelles Volk gelten.

Wenn Michael das Modell aller Deutschschweizer wäre, wären die Suisses allemands dafür bekannt, pour rencontrer certains problèmes cognitifs qui les empêcheraient de bien identifier certains meubles. Die Deutschschweizer wären dann dafür bekannt, kognitiv nicht in der Lage zu sein, gewisse Möbel richtig zu identifizieren. Alle Deutschschweizer würden ihr Sofa für einen Schrank halten oder generell für eine Ablagefläche, ideal, um Taschen, Schuhe, Zahnbürsten, Rucksäcke, Kleider und andere Gegenstände darauf zu lagern. Alle Deutschschweizer würden zudem denken, qu'il est idéal d'entreposer leurs manteaux, habits de sport et casquettes sur la table de la cuisine.

Der Küchentisch... Wenn Michael das Modell aller Deutschschweizer wäre, gäbe es Touristen, die in Bussen und Flugzeugen aus allen vier Himmelsrichtungen der ganzen Schweiz anreisen würde, um zu bestaunen, was man auf einem Küchentisch alles finden kann. Ich bin sicher, il y aurait énormément à raconter sur les Suisses allemands et il est sûr et certain que les touristes viendraient par cars et avions entiers des quatre coins du monde pour voir tout ce qu'on pourrait trouver sur leur table de cuisine.

Eine Nasenlänge voraus

Der Küchentisch der Deutschschweizer würde als eine Art Zentrum des Universums oder schwarzes Loch beschrieben werden, das eine magnetische Kraft besitzt, die alle Arten von Gegenständen auf seine Oberfläche ziehen kann, die man in anderen Ländern dort nicht finden würde. Die Touristen würden lernen, «Chuchi Tisch» zu sagen. Sie würden es voller Freude flüstern: «Chuchi Tisch». Das Wort würde in den sozialen Medien viral gehen und es würde zu einem globalen Konzept werden, das so etwas bedeutet wie: ein aussergewöhnliches Durcheinander, eine überraschende Mischung, ein Ort, wo man alles und sein Gegenteil findet. Der Deutschschweizer Küchentisch würde als eine Art quantenphysikalischer Megamagnet beschrieben werden. #Quantum #Physical #Megamagnet #ChuchiTisch. Und es gäbe Aufsätze mit Titeln wie: «Emergent Quantum Coherence in Megamagnetic Systems: A Theoretical Framework for Understanding the Deutschschweizer CHUCHI TISCH».

La table de la cuisine des Suisses allemands serait décrite comme une sorte de centre de l'univers ou trou noir, possédant une force magnétique capable d'attirer sur sa surface toutes sortes d'objets qu'on n'y verrait pas dans les autres pays. Chuchi Tisch, le mot serait partagé sur les réseaux sociaux et il deviendrait un concept global qui voudrait dire quelque chose comme: «un fouillis extraordinaire», «un mélange surprenant», «un endroit où l'on trouve tout et son contraire».

Wenn Michael das Modell aller Deutschschweizer wäre, dann wären sie auch für ihre ausgezeichnete Küche bekannt. On se presserait pour venir déguster leurs boulettes de viandes, leur kebab maison et leur pain maison pétri sur le mollet. Man würde lange anstehen, um ihre Fleischbällchen, ihren hausgemachten Kebab und ihr selbst gebackenes Brot zu kosten, das sie auf ihren Oberschenkeln liebevoll geknetet haben. Alle Deutschschweizer wären gastfreundlich und würden einem immer sofort ein Bier anbieten.

Wenn alle Deutschschweizer wären wie Michael, dann wären sie dem Rest der Schweiz immer eine Nasenlänge voraus, hätten immer une vision des choses percutantes et originales, eine treffende und originelle Sicht der Dinge. Sie würden alles reparieren können. Sie wären unermüdliche Wäscher und wären imstande, die Waschmaschinen und die Geschirrspülmaschine so nacheinander laufen zu lassen, dass das dem aktuellen Ertrag der Solarpanels auf dem Dach entspräche.

Finalement, après avoir énuméré tout ceci, je me dis que dans le fond, ça serait peut-être une bonne idée que tous les Suisses allemands ressemblent à Michael. Je vais le dire à Véronique. On ne s'ennuierait plus jamais une seconde dans ce pays. Vielleicht wäre es doch nicht so verkehrt, wenn alle Deutschschweizer wie Michael wären. Das werde ich Véronique sagen.

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